Freitag, 1. April 2016

APRIL 1st SEO blogger Peter Helm Eberbach Heidelberg <> http://www.polygraphicum.de eberbachHELMlindach

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APRIL 1st SEO Blogger 
Peter Helm 
Eberbach Heidelberg

...eines Tages wird unser Ozean
sein Ufer finden...

Il giorno in più












Peter Helm
6:17 PM
DIOGENES
Leseprobe

FABIO VOLO

Noch ein Tag und eine Nacht

'Il giorno in più'

Die Hochzeit (-4)

Meine Hochzeit fand an einem sonnigen Morgen Ende April statt. So eine Verabredung sollte jeder haben,eine Hochzeit, bei der die Brautleute die einzigen Gäste sind. Der Park, den Michela ausgesucht hatte, hieß Jefferson
Market Garden und lag zwischen der Greenwich Avenue, der 6th Avenue und der 10th Street. Tatsächlich ein kleiner Garten, voller Blumen und Büsche. Einen kleinen Brunnen mit Fischen gab es auch. Am Eingang saßen zwei ältere Da-
men an einem Holztischchen, die jeden Besucher begrüßten und Programmzettel austeilten. Veranstaltet wurden ein Kinder- und ein Blumentag, Literaturlesungen sowie kleine Konzerte. Der Park lebt von Spenden und ehrenamtlicher Tätigkeit. Ein wunderbarer Ort.Ich setzte mich auf eine Bank und wartete auf meine zukünftige Frau.Ich hatte mich feingemacht. Ich trug eine dunkelblaue
Hose und ein hellblaues Hemd. Die Haare hatte ich nach hinten gekämmt wie mein Großvater. Er benutzte Brillantine, ich eine Art Gel. Den Großvater mit der Brillantine habe ich leider nie kennengelernt. Ich kannte ihn nur aus Omas Erzählungen. Die Woche über musste er hart arbeiten, aber sonntags zog er sich elegant an und trug immer ein frisch gewaschenes hellblaues Hemd. Er rasierte sich sorgfältig und kämmte die Haare mit Brillantine zurück. Das habe er schon als junger Mann so gemacht, sagte Oma, und als sie ihn das erste Mal sah, habe sie sich auf der Stelle in ihn verliebt. Beim Dorffest auf der Piazza. Er habe sie gleich bemerkt und zum Tanzen aufgefordert, aber sie habe abge-
lehnt, nicht weil sie nicht wollte, sondern weil sie zu aufgeregt gewesen sei und es ihr peinlich war. Aber bei jedem neuen Tanz habe er es wieder versucht, und beim siebten Versuch habe sie schließlich eingewilligt. Von diesem Augenblick an hatten sie sich nie wieder getrennt; beim nächsten Dorffest
ein Jahr später waren sie schon Mann und Frau. Auch ich war mit der Absicht zum Jefferson Market Garden gekommen, bei Michela einen unvergesslichen Eindruck
zu hinterlassen. Unterwegs hatte ich gefrühstückt und dann einen Hochzeitsstrauß gekauft. Als Trauzeugen hatte ich mich für Nick Drake entschieden und einen Liedtext von ihm mitgebracht. Für wen sie sich entschieden hatte, wusste ich noch nicht.
Als ich sie in der Ferne auftauchen sah, stand ich auf.Auch wenn es nur zum Spaß war, war es doch furchtbar aufregend. Sie trug ein crèmefarbenes Kleid. In der Hand hatte
sie ein Buch und eine Plastiktüte. Als sie bei mir ankam, lächelten wir uns an. Das war unser Film, und wir waren die Schauspieler, wir spielten unsere Rolle mit Gefühl und Spaß.
Wenn man heiratet, muss man eigentlich daran glauben,dass es für immer und ewig ist. Auch wenn dieses »für im-
mer und ewig« gar nicht existiert. Man muss daran glauben.Die Zeremonie war kurz. Schweigend sahen wir uns ein paar Minuten an. »Ich kann’s kaum erwarten, dich zu hei-
raten«, sagte ich. »Ich auch«, antwortete sie.
Ich holte die beiden Ringe heraus, und wir steckten sie uns gegenseitig an.
Dann zitierte ich die Passage aus dem Lied Time has told me von Nick Drake, meinem Trauzeugen, die ich für sie ausgewählt hatte:

Und die Zeit wird dir sagen,
bleib bei mir,
such weiter,
bis es nichts mehr zu verstecken gibt.
Verlass die Wege, die dich zu jemandem machen, der du gar nicht sein willst,
verlass die Wege, die dich jemand lieben lassen,den du gar nicht lieben willst.
Die Zeit hat mir gesagt,
eine wie dich zu finden ist schwer,
notleidende Heilung
für eine notleidende Seele.
Und die Zeit hat mir gesagt,
ich soll nicht mehr verlangen,
eines Tages wird unser Ozean
sein Ufer finden.

Sie war gerührt, das konnte ich sehen. Dann las sie einen Vers aus dem Sonett 116 von Shakespeare, den sie selbst übersetzt hatte:

Die Hochzeit zweier aufrichtiger Seelen
werde ich nicht hindern.
Die Liebe ist Liebe nicht, wenn sie vor
Hindernissen schreckt.
O nein, ein ewiger Fixpunkt für immer,
der sich von Stürmen nicht erschüttern lässt.
Sie ist der Stern, an den die Schiffe sich halten.

Während sie vorlas, hatte ich vollkommen vergessen, dass unsere Hochzeit nur ein Spiel war. Für mich klangen diese Worte echt.
Wir küssten uns.
»Wir müssen uns gegenseitig ein Versprechen geben. Ich habe es heute Morgen beim Frühstück aufgeschrieben«, sagte sie. Sie zog eine Papierserviette heraus und las vor: »Ich
nehme dich, Giacomo, zu meinem Mann und verspreche dir, für die restlichen Tage mit dir die Früchte meiner Entscheidungen, meiner Gedanken und Gefühle zu kosten. Ich schenke dir, was ich war, was ich bin und was ich sein
werde. Du bist alles, was ich vom Leben wollte. Jetzt bist du dran.«
»Ich habe aber nichts vorbereitet, außer Nick Drake.«
»Dann erfinde was.«
Nach ein paar Sekunden sagte ich: »Aus vollem Herzen nehme ich dich, Michela, für die kommenden vier Tage zu meiner Frau. Ich verspreche, dir keine Versprechungen zu machen, vielmehr dich teilhaben zu lassen an meiner Fähig-
keit zu lieben und dich zu lieben. Du bist die Frau, bei der ich mich wohl fühle, und was ich bei unserem Zusammensein an mir erkannt habe, wird ewig Bestand haben.«

Sie gab mir einen Kuss. »Hey, mein Gatte«, flüsterte sie mir zu.
»Wenn jemand wüsste, was wir hier machen, würde er denken, wir beide sind reif für die Klapse«, sagte ich.
»Das ist ja das Schöne. Dass nur wir beide es verstehen.
Was geht uns die Welt an? Ihr Urteil, ihre Meinung, ihre Etiketten? Und außerdem, was gibt es Verrückteres, als ein solches Versprechen ernst zu nehmen?«
Dann gingen wir zum Essen. Unser Hochzeitsessen fand bei Katz’s Delicatessen in der Houston Street statt, und wir aßen ausgezeichnete Sandwiches mit Riesengurken und Pommes frites.
Am Nachmittag machten wir einen Spaziergang, und plötzlich stand ich, ganz ohne Absicht, wieder vor dem Plattenladen. Dem mit den billigen cds. »Lass uns eine Hochzeits-cd kaufen«, sagte ich. Wir beschlossen, eine Aufnahme von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald zu nehmen,
aus gegebenem Anlass schien uns ein Duett angemessen.Was Musik betraf, verließ sich Michela ganz auf meinen Geschmack. Ich liebäugelte auch mit Porgy and Bess von George Gershwin, aber daraus kannte Michela nur den
Song Cheek to cheek, der auf der cd gar nicht drauf war.Deshalb kauften wir schließlich die Platte Ella & Louis, und
von da an war Cheek to cheek unser Lied.
Auf dem Heimweg kamen wir auf der 3rd Street plötzlich an einer Kirche vorbei. Wir gingen hinein und setzten uns. Schweigend. Ich weiß nicht, woran Michela dachte, ich jedenfalls dachte an uns, an meine Mutter, meine Großmutter, an Silvia, meinen Hund und jede Menge andere Leute.Beim Hinausgehen blieb Michela vor einer Muttergottesstatue stehen, zog erst ihren, dann meinen Ehering ab und
warf sie in den Opferstock. Dann nahm sie zwei Kerzen und zündete sie an. Ich war einverstanden, also sagte ich nichts.

Ich sah sie an und vergaß dabei alles um mich her um. Als wäre die Welt draußen vor der Kirche nicht existent, hatte ich nur noch Augen für sie, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie absurd es eigentlich war, sich mit einem Menschen so wohl zu fühlen, den man gerade erst kennen-
gelernt hat. Ich war kurz davor, den Verstand zu verlieren.

Als sie sich umdrehte und mir in die Augen sah, bekam ich eine Gänsehaut, ein unglaublich intensives Gefühl, für den
Bruchteil einer Sekunde.
Draußen war das Tageslicht so hell, dass wir geblendet waren und die Augen zusammenkniffen.
»Eine schöne Kirche, nicht?«, sagte ich.
»Ja. Ich betrete ab und zu eine Kirche. Weißt du eigentlich, dass ich meine Examensarbeit über das Marienbild im
Mittelalter geschrieben habe?«

»Das ist ja interessant ... musst du mir eines Tages mal genauer erklären. Glaubst du an Gott?«
»Ich bin Agnostikerin.«
»Agnostikerin? Was heißt das?«
»Agnostiker sind der Auffassung, dass es keine rationale Erkenntnis des Göttlichen gibt, jedenfalls nicht für Menschen, und deshalb kann man nicht sagen, ob es ihn gibt.

Und du, bist du gläubig?«

»Ich stelle gerade fest, dass ich gar nicht weiß, ob ich an Gott glaube. Als ich klein war schon, dann eine Weile nicht,
später ist der Glaube zurückgekommen. Das ist mal so, mal so. Als Kind verlor ich leicht den Glauben an Gott. Ich erpresste ihn. Stell dir vor, einmal hörte ich für eine Weile auf, an ihn zu glauben, weil ich keine Schamhaare bekam. Mein Verhältnis zum Glauben ist wechselhaft.«

»Schamhaare, das scheint mir ein guter Grund, den Glauben zu verlieren. Jedenfalls nennt man das Oligopistie, eine Kleingläubigkeit, die leicht zu erschüttern ist.«

Ich sah sie ungläubig an.

»Jetzt hör ich aber lieber auf, sonst rinnt dir plötzlich noch Blut aus der Nase. Lass uns lieber einen Kaffee trinken gehen.«

Abends aßen wir zu Hause, und ich übernachtete bei ihr. Die erste Nacht mit meiner Frau! Küsse, Liebkosungen,
Umarmungen, aber kein Sex. Nichts als Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten. Dann schliefen wir eng aneinanderge-
schmiegt ein.

Am nächsten Morgen sagte ich im Spaß: »Dann stimmt es also, dass man nach der Hochzeit nicht mehr miteinander schläft.«

Bis zu unserer Trennung blieben uns nur noch wenige Tage. Wie bei Aschenputtel würde auch für uns der Ball und
alles, was dazu gehörte, bald Vergangenheit sein.
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